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Tacheles zum Plakativen: In Deutschland liegt was schief.
Einführungsrede von Prof. Kurt Weidemann (Auszug)

Müssen wir uns damit abfinden, dass wir zunehmend in einer Gesellschaft leben, in der wir von  allem den Preis und von nichts den Wert wissen? Wir leben in einer Raffgesellschaft, in der die Verteilungskämpfe härter werden, in der das Gemeinwohl dem Staat überlassen und das eigene Wohlergehen mißmutig und übellaunig beklagt wird.

Was auf der materiellen Seite teurer oder höher besteuert oder wegrationalisiert wird, das wird genau registriert und lauthals beklagt. Was an viel Schlimmerem passiert, was an der geistigen Substanz und an der Persönlichkeitsstruktur an Sinnstiftung und kulturellen Werten kaputt geht, wird nicht bemerkt und kaum beklagt.

Die Phrasendreschmaschinen laufen im Drei-Schichten-Betrieb, labern uns voll und lassen uns leer. Das Wort "Kultur" ist inflationiert und mißbraucht und von Philosophie, Unternehmensphilosophie, spricht man schon, wenn einer ein paar Sätze unfallfrei über die Bühne bringt, die mit Umsatz und Gewinn nicht direkt was zu tun haben.

So müssen wir uns schon etwas geheimbündlerisch treffen wie hier, um unsere Augen zu erfreuen, zu bezaubern, um unseren Geist und unseren Gemütskräften Nahrung zuzuführen. Wo finden wir noch Plakatkunst? In Sammlerbeständen, Design-Archiven, Museen und Galerien. Gepflegt und registriert, damit man unseren Enkeln einmal zeigen kann, was Sache war. An den Plakatsäulen und großformatigen Wänden locken wagenradgroße Pfanniknödel, mehrstöckige Mac Donalds-Schnellimbiß-Happen, tropfenbeschlagene, schäumende Biergläser und gelegentlich die Dinosaurier aus dem Jurassic-Park.

Plakate sind Wegelagerer. Ihre Beute sind Blicke, die sie auf sich ziehen wollen und in überwiegenden Fällen sind ihre Botschaften Wunschwecker. Sie können sich nicht aussuchen, wer sie beachtet oder an ihnen vorüberläuft.  ... Das beste, was diese Republik und ihre Nachbarn auf dem weiten Gebiet des Grafik-Design zu bieten haben, kommt von den Plakatkünstlern. Es ist ein Jammer, dass die potentiellen und potenten Auftraggeber davon keinen Gebrauch machen. Die es gern möchten: Theater, Kulturveranstalter, Staatsgalerien haben kein Geld und unterliegen als individuelle Minderheit am bequemsten den Etatkürzungen.

Die Verkaufschefs, Marketingleiter, Werbefuzzis sind Umsatzdienstleister am Produkt. In den Vorständen wird das Beste zerredet, wegdiskutiert. Gegenüber sinnstiftenden Phänomenen verharren sie im Nebensächlichen, suchen nach erklärenden Inhalten, die sie auch von der Form überzeugen sollen. Die Bewältigung der Form für einen Inhalt ist das, was die Plakatmacher dieser Ausstellung auszeichnet.

Mein Kollege in Akademiezeiten, Alfred Hrdlicka, hat das so formuliert: "Der liebe Gott ist nicht so lieb, dass er denjenigen , die keinen Inhalt haben, auch die Form schenkt. Sondern es ist so, dass Leute, die Inhalte zu gestalten vermögen, auch die stärkere Form haben. Je intelligenter die Inhaltsbewältigung, desto stärker die Form. Inhalt und Form steigern sich gegenseitig."

Robert Bosch der Firmengründer hat noch Luzian Bernhard am Sonntag zum Kaffee eingeladen, mit ihm über Gott und die Welt diskutiert, hat ihm beim Abschied in den Mantel geholfen und beiläufig gebeten, doch wieder mal ein paar Plakate zu machen. Zugegeben, er hatte konkurrenzlose Monopolprodukte in einer Zeit, die es so nicht mehr gibt. Aber das Anspruchsdenken könnte und sollte es doch noch geben. Das sogar mehr als damals.

Wir haben in dieser Ausstellung eine spezielle Zielgruppe, die Jazz-Fans. Aber man muss nicht unbedingt den Delta-Blues vom Space-Age-Blues und den Hip-Hop vom Be-Bop unterscheiden können und den Groove-Soul und Templations-Walk kennen, um sich an der Qualität und Botschaft dieser Plakate zu erfreuen. ... Ein Bild kann nur so gut sein, wie der Betrachter, der vor ihm steht. Das Sehen, das Sehenlernen und das Sehenüben ist ein anstrengendes Geschäft. Die Subjektivität der Seherlebnisse bestimmt unsere Urteile und Ansichten. Nur einen Bruchteil des Gesehenen bewältigt unser Gedächtnis. Unsere Aufmerksamkeit ist auf das eingestellt, was uns gerade oder immer interessiert, was wir sehen möchten: neue Autos, wenn man eine Anschaffung - wie man so dahersagt - ins Auge fasst. Kinderwagen, wenn der Stammhalter zur Welt gekommen ist, ein Brot, wenn man Hunger hat oder man sieht Busen und Hintern auf der Weiberjagd.

Wir sehen selektiv, sehen auswählend vornehmlich das, was unsere Bedürfnisse und Wünsche steuert. Nicht unbedingt das, was uns in der Persönlichkeitsentwicklung weiterbringt, was uns neue Erkenntnisse vermittelt. ... Als Betrachter dieser Ausstellung muss man kein Jazz-Experte sein, um Seherlebnisse in Kenntnisse zu verwandeln. Man wird sich an kreativen Einfällen, an Ideen der Umsetzung des Hörens, an Formen und Farben erfreuen. Vorkenntnisse schaden allerdings nicht, wenn  man beurteilen kann, was zu wem passt und was wen charakterisiert. ... Farben kann man auch hören. Nicht zufällig sprechen wir von Farbtönen, Farbklängen, Harmonien, Dissonanzen und Kompositionen. "Töne klingen, wenn Farben erröten" nennt Günter Brus ein Bild.

Diese Ausstellung versammelt große Könner der Plakatkunst, die den unterschiedlichen Richtungen ihre visuellen Interpretationsfähigkeiten widmen. Ich möchte nicht auf die einzelnen Künstler eingehen, sondern sie bitten, vor die Plakate in einen stummen Dialog zu treten und ihn mit einem Gewinn zu beenden. Sie sollen die Bilder über das Auge erwerben nicht über das Ohr. Die Augen sollen ihren Ohren ein Versprechen machen, das ihnen dann die Musik einlösen wird.

Aalener Jazzfest
5 Generationen Jazzplakate: «plakart»
Plakate von Günther Kieser, Niklaus Troxler,
Ruedi Wyss, Dieter Feseke und Ine Ilg

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